Ein Ort ohne Leistungsdruck
Tage der Orientierung ermöglichen eine Auszeit für Schüler
Die Klasse 10a der Riedenburger Realschule St. Anna hat Schiffbruch erlitten. Die Klasse ist gestrandet und kann sich nur mit Hilfe von Eisschollen auf das nahegelegene Festland bewegen. Das Festland ist eine Teerstraße, die Eisschollen sind Getränkekästen und das Ganze eine pädagogische Übung: Die drei zehnten Klassen der Realschule sind auf „Tagen der Orientierung“ (TdO). Für die Klassenlehrerin Margareta Hofmeister sind diese Tage eine wichtige Auszeit vom Schulalltag. Die Schülerinnen der Realschule bereiten sich in diesem Jahr auf ihre Abschlussprüfung vor. Das bedeutet: Stress. Bei den Tagen der Orientierung haben sie einmal Zeit für sich, ihre eigene Zukunft, die Zeit nach dem Schulabschluss und die Klassengemeinschaft.
Jugendamt organisiert „Tage der Orientierung“
Tage der Orientierung sind ein Angebot des bischöflichen Jugendamtes in Regensburg, um das sich die Fachstelle Schülerinnen und Schüler kümmert. „Unser Blick richtet sich auf die kirchliche Jugendarbeit im Bistum“, sagt Domvikar Christian Kalis, Leiter des Jugendamtes. Seit September 2017 kümmert sich der Priester um die Belange der Jugendlichen. Seine Aufgaben sind vielfältig. Zum einen kümmert sich Kalis um die „amtliche Jugendarbeit“: Überall im Bistum Regensburg gibt es Jugendstellen, dort wird zum Beispiel die Ministrantenarbeit koordiniert oder Kurse für Gruppenleiter angeboten. Dazu kommt noch die verbandliche Jugendarbeit. Neun Jugendverbände gibt es im Bistum Regensburg, sie reichen von der Kolpingjugend bis zur Katholischen Landjugendbewegung. Sie alle sind unter dem Dach des Bundes der Deutschen katholischen Jugend zusammengefasst, dessen Präses Domvikar Kalis in Regensburg ist. „Die Verbände arbeiten für sich sehr selbstständig“, sagt er. Sein Amt unterstützt, setzt inhaltliche Impulse.
Ein Ort ohne Leistungsdruck
„Von der Grundschule bis zum Alter von 25, 27 Jahren können wir Angebote ausschreiben“, sagt Kalis. Dazu gehören die Tage der Orientierung: Ganze Klassen nehmen sich eine Auszeit, zwei oder zweieinhalb Tage lang dauert das. „Wie geht es in meinem Leben weiter? Wo liegt meine Berufung? Womit hat mich Gott ausgestattet?“ Diese Fragen sollen die Schülerinnen und Schüler während der TdO beschäftigen. Die Palette der Inhalte ist breit: Es geht um die eigene Rolle in der Familie oder der Gesellschaft, um die eigene Zukunft oder einfach die Dynamik in der Klassengemeinschaft. Für Kalis ist sehr wichtig, dass diese Tage wirklich zur Auszeit werden: „Hier haben die Schüler keinen Leistungsdruck.“ Sie selbst können entscheiden, welche Themen behandelt werden soll – das reicht von Selbstbewusstsein bis zu Liebe, Partnerschaft und Sexualität.
Ein Angebot für alle
„Die TdO sind ein Angebot für alle Schularten.“ Für Hofmeister und ihre katholische Schule ist das dezidiert kirchliche Angebot wichtig. „Uns sind christliche Werte wichtig. Wir legen auch Wert auf ein kirchliches Element bei den Tagen der Orientierung“, sagt Hofmeister. Domvikar Kalis freut sich, auch die religiöse Seite den Schülern nahebringen zu können: „Wir als Bischöfliches Jugendamt sehen in jedem einzelnen Menschen Gottes Ebenbild. Wir wollen ihm helfen, dass er das selbst in sich entdeckt.“ Für die Schulen ist die Stärkung der Klassengemeinschaft ein sehr wichtiges Thema. „Wir wollen den Schülern und Schülerinnen einen Raum bieten, in einer anderen Atmosphäre etwas für die Klassengemeinschaft zu tun“, sagt Hofmeister.
Mehr als 10.000 Schüler nehmen pro Jahr teil
Diesen Raum macht die katholische Kirche im Bistum Regensburg möglich. Pro Jahr nehmen rund 220 Gruppen das Angebot des Bischöflichen Jugendamtes wahr, das macht über 10.000 Teilnehmer jährlich. Die Schulklassen müssen für die Verpflegung und die Übernachtung aufkommen. Die Tage der Orientierung finden meistens entweder bei den Prämonstratensern in Windberg oder den Salesianern in Ensdorf statt, aber auch im kirchlichen Bildungshaus Werdenfels in Nittendorf. Die Klassen müssen ebenso für die sogenannten Teamer aufkommen: Junge Menschen, die vor Ort die Tage leiten, meistens sind es Studenten der Theologie oder Sozialpädagogik. Sie werden vom Jugendamt ausgebildet.
Bistum Regensburg investiert etwa 90.000 Euro jährlich
Gleichzeitig bezuschusst aber auch das Jugendamt die Tage der Orientierung. Fünf Euro pro Schüler und Tag gibt es, das macht etwa 90.000 € im Jahr. Dazu kommt die Ausbildung der Teamer und die Personalkosten der hauptamtlichen Mitarbeiter. Finanziert wird das durch Kirchensteuermittel. „Als Kirche stecken wir das Geld gerne in den Nachwuchs. Wir fragen nicht nach einem Nutzen“, begründet Domvikar Kalis. Würde nicht die Kirche die TdO anbieten, müsste ein anderer Träger einspringen. Das wäre viel teurer – entweder müssten die Schüler mehr zahlen oder die TdO könnten gar nicht mehr stattfinden.
Das wäre schade – denn die Schüler mögen diese Tage der Auszeit. „Beim letzten Mal haben die Schüler gesagt: Die TdO waren viel schöner als die Abschlussfahrt.“ Die gemeinsame Besinnung auf das Leben kann auch die Weichen für die Zukunft stellen – damit die Schulklassen nicht einmal wirklich Schiffbruch erleiden.