Wo die Mädchen vor Neugierde schweigen
Marchtaler Plan an der Mädchenrealschule Riedenburg
Montagmorgen, 7.55 Uhr: 30 Mädchen sitzen im Kreis und schauen noch verträumt in die Mitte. Das Wochenende war spannend und wieder viel zu kurz. Die neue Woche geht los – jetzt ist wieder Schule angesagt. Und die beginnt in der Mädchenrealschule St. Anna in Riedenburg gerne mal in der "Allianz-Arena". Ein Morgenkreis, wie ihn die Schülerinnen der 5. Klasse lieben. Fantasie und Teamgeist sind gefragt. Zusammenrücken und auf Kommando das Stadion des Deutschen Fußballrekordmeisters formen.
Morgens im Kreis
"Mit dem Morgenkreis startet die Schulwoche. Er kennzeichnet die Woche als neu geschenkte Aufgabe", sagt der Erfinder der "Riedenburger Allianz-Arena", Christian Fackler, der Direktor der Realschule. "Wer schafft es heutzutage noch, still zu sein? Der Morgenkreis ist eine Stilleübung für alle. Wir richten unseren Blick auf das Wesentliche. Nach dem Wochenende kommen Lehrer und Schüler wieder zusammen – aus unterschiedlichen Lebenswelten in die Gemeinschaft der Klasse. Hier teilen wir das Erlebte, was uns beschäftigt. Alles darf raus. Danach ist lernen viel effektiver", erklärt der Schulleiter.
Der Morgenkreis ist wichtiger Bestandteil des Marchtaler Plans, ein reformpädagogisches Konzept, das der christlichen Auffassung vom Menschsein Rechnung trägt. Das Motto: "Zur Freiheit berufen." (Gal 5,13). Das ist hier Programm und wird im Schulalltag gelebt.
Im Zentrum des "Morgenkreises" stehen die Menschen. Hier trifft man sich. Hier ist Begegnung – mit der Schöpfung, mit dem Nächsten, mit sich selbst und mit Gott. "Wir heben hier die kirchlichen Feiertage spielerisch in die Mitte unseres Alltags. Der Glaube wird nahbar", legt Fackler dar. Das geschieht beim Trainieren der Sinne, spielend, meditierend, in Bibelgesprächen und Gebeten. Auf Ästhetik in Wort, Bild, Klang und Gestaltung legen sie in Riedenburg besonderen Wert.
Wer lehren will, muss Vorstellungskräfte beleben. Die Schülerinnen versetzen sich an interessante, spannende Orte, am besten an ihren Lieblingsort. Heute eben in die "Allianz-Arena", in deren Mitte ein großes Holzkreuz liegt. "Wer Kinder hat, weiß, wie wichtig Rituale sind. Sie einzuhalten, ist manchmal mühselig, aber sie geben eine tragende Struktur. Wenn der Morgenkreis erst einmal etabliert ist, können die Mädchen ihn gar nicht mehr erwarten", betont Christian Fackler lachend. Die sechstufige Realschule mit 409 Schülerinnen und 25 Lehrkräften leitet er seit zwei Jahren.
Frei und still
Das zweite Strukturelement ist die "Freie Stillarbeit". Die Schülerinnen lernen mit den Aufgaben, denen sie sich stellen. Die Lehrer moderieren und beraten. Die Lernumgebung regt an. Konzentrierte Stille herrscht. Thema, Zeit, Arbeitsform und Raum – die Mädchen entscheiden sich frei, übernehmen aber auch die Verantwortung für das Ergebnis. Vorgesehen sind zum Beispiel kleinere Projekte. "Gerade bei der freien Stillarbeit lernen die Schülerinnen unheimlich schnell Eigenverantwortung", ist Lehrerin Angelika Lichtinger überzeugt. "Sie lernen, ihre Zeit einzuteilen und sich mit den anderen im Team abzusprechen. Sie lernen viel über sich selbst und bekommen genügend Freiheit, das jeweils Richtige für sich herauszufinden."
Erkennen ohne Grenzen
Der "Vernetzte Unterricht", das dritte Element, durchbricht die übliche Gliederung der Stoffe nach Fächern. Sachliche Zusammenhänge und die Freude am Erkennen zählen. Fächergrenzen treten in die zweite Reihe. Unterrichtsbereiche fließen ineinander, weil sich ihre Inhalte als Sachfragen ethisch, sozial und religiös verknüpfen. Sachunterricht, Geschichte, Erdkunde, Physik, Chemie, Biologie oder Deutsch: Die Gruppe, die zum Naturschutz im Altmühltal arbeitet, gewinnt und nutzt Kompetenzen in all den Fächern. Und natürlich ist Gottes Schöpfung auch eine Frage, der man sich im Licht des Glaubens nähert.
Wissen und lernen
Wenn die Riedenburger die Gliederung des normalen Lehrplans verlassen, geben sie deshalb keineswegs das Fachwissen preis. Vielmehr geht es um zusätzliche Formen der Wissensvermittlung und des Umgangs mit dem Gelernten. "Man kann heutzutage nicht mehr in Fächern denken. Alles hängt irgendwie miteinander zusammen. Der vernetzte Unterricht lässt die Schülerinnen kognitiv denken und macht sie damit fit für ihre zukünftige Arbeitswelt", ist sich Lehrerin Margarete Hofmeister sicher. Das Ergebnis: "Unsere Schülerinnen sind gewohnt, Dinge aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Sie stellen ganz andere Fragen", so der Schulleiter. Fremdsprachen, Mathematik, Informatik oder Sport lernen die Schülerinnen weiterhin im Fachunterricht. Diese Fächer werden nur dann in die vernetzten Unterrichtseinheiten einbezogen, wenn sie einen "Vernetzungsbeitrag" leisten können.
Schule als gern besuchter Lebensraum
In Riedenburg spürt man das offene Lernklima in der ganzen Schule. Die Mädchen haben Freude am Lernen, weil sie erkennen und erobern. "Es weht ein guter Geist durch unsere Hallen", so Christian Fackler. Diese Atmosphäre macht die Schule zum gern besuchten Lebensraum der Schülerinnen. "Wenn du schnell gehen willst, dann gehe alleine. Wenn du weit kommen willst, dann gehe mit anderen zusammen", lautet treffend das diesjährige Schulmotto.
2005 kam die St. Anna Schule unter das Dach der Schulstiftung der Diözese Regensburg. Ein Meilenstein für die Region. Denn nur so konnte der Fortbestand der 1860 gegründeten Mädchenschule gesichert werden. Seither bleibt sich die Realschule treu. Sie ist klar christlich ausgerichtet. Die Feste des Kirchenjahres feiert die Schulgemeinschaft engagiert. Mit gutem Beispiel geht man bei Hilfsprojekten voran. "Wir erziehen und fördern die Schülerinnen ganzheitlich und individuell", erläutert der Direktor. "Wir zeigen ihnen, wie sie Verantwortung in ihrem Leben übernehmen können. Und: Wir bieten den Mädchen Lebensorientierung auf Basis des christlichen Glaubens."
Ganzheitliches Lehren und Lernen
Die fachliche Bildung kommt bei all dem nicht zu kurz. Im Gegenteil: Es gibt zum Beispiel eine Ausbildung an modernen Computern mit Internetzugang. Auch vielfältige außerschulische Aktivitäten bereichern den Unterrichtsalltag. "Wir haben ein rundum harmonisches Schulklima und eine engagierte Zusammenarbeit zwischen Lehrern, Eltern und Schülerinnen. Bei uns zählt der Mensch, nicht seine Leistung. Der Marchtaler Plan ist dabei grundlegend", zeigt sich Christian Fackler zufrieden.
1984 wurde der Marchtaler Plan erstmals als Erziehungs- und Bildungsplan eingeführt. Inzwischen bildet er die Grundlage für über 40 freie katholische Schulen in ganz Deutschland. Drei davon in Bayern. Benannt wurde der Plan nach seinem Entstehungsort, dem Kloster Obermarchtal. Das Schulkonzept hat wesentliche Gedanken der Montessori-Pädagogik ("Hilf mir, es selbst zu tun") und Ansätze von Peter Petersen aufgenommen. "Der Marchtaler Plan ist seit Jahrzehnten gut erprobt. Er hat sich bewährt, er ist interessant, er hat eine Botschaft, er bietet viele Möglichkeiten, die in den herkömmlichen Unterrichtsstrukturen nicht möglich sind. Darin steckt eine riesige Chance für alle Beteiligten", resümiert der Schulleiter.
Der Marchtaler Plan ist zu einer anerkannten schulpädagogischen Konzeption mit Modellcharakter geworden. Inzwischen gibt es entsprechende Pläne für alle allgemeinbildenden Schulformen. Inhaltliche Grundlage sind die Lehrpläne des jeweiligen Bundeslandes. "Wir machen in unserem Unterricht nichts anderes, als man mit dem Lehrplan nicht sowieso tun würde", argumentiert Lehrerin Sandra Bergmann lächelnd. "Wir unterrichten nur auf andere Art und Weise, mit einer besonderen Methode."
Vertraut machen mit der Botschaft Jesu Christi
"Ganzheitliches Lehren und Lernen" – so ließe sich die Methode zusammenfassen. Denn der Marchtaler Plan vermittelt Bildung und Wissen, wie es den heutigen Anforderungen an einer guten Schule entspricht. Zudem strebt er eine umfassende personale und soziale Erziehung an: Harmonische Entfaltung, Förderung der körperlichen und geistigen Anlagen, soziales Engagement, Mitarbeit in der Gesellschaft – all dies sind wichtige Bausteine.
Entscheidend anders ist schließlich die religiöse Bildung: Das Fach Religion taucht nicht mehr isoliert auf, sondern wird in den gesamten Unterricht integriert, so wie auch der Glaube für den Menschen in all seinen Lebensäußerungen bestimmend ist. Alle Inhalte erschließen die Lernenden immer auch im Horizont des Glaubens der Kirche. Vertraut sein mit der Botschaft Jesu Christi und die grundlegende Bedeutung dieser Botschaft für das ganze Leben zu erleben: darum geht es.
Was das im Schulalltag heißt, erlebt man auch am Ende der Woche. Der Kreis schließt sich. Die Woche endet, wie sie begann: Am Freitag sitzen die Mädchen im "Abschlusskreis" beisammen: beten und singen, hören und aufnehmen, sehen und anschauen, schweigen und still werden. Die betrachtende Schule spiegelt sich in den Menschen, die Kinder und Jugendlichen gewinnen Haltung, Persönlichkeit, Verantwortungsfreude und Selbstbewusstsein. Eine Haltung, die sich wiederum in einer außergewöhnlichen Schulkultur spiegelt. Eine Haltung, die sich die Mädchen auf ihrem Weg zum Schulabschluss gemeinsam erarbeiten. Als Team, das keinen zurück lässt.